Geschichte der Schlaraffia in Arnstadt
Der Bund, als reine Männergesellschaft 1859 in Prag von vorwiegend Künstlern gegründet, wird oftmals fälschlicherweise als Geheimbund oder Loge bezeichnet. Das ist faktisch falsch. Geheim ist bei Schlaraffia eigentlich nichts. Es dringt nur wenig nach außen - was aber in der Natur der Sache liegt. Schlaraffia bietet seinen Mitgliedern eine Art "geschützten Raum" in einem Spiel, in dem sie sich ohne Furcht vor Hohn oder Rufschädigung ausprobieren können, bzw. einfach mal als Mensch Spaß haben dürfen.
Einzelheiten zum Spiel erfahren Sie auf dieser Internetseite hier.
Zur Geschichte finden Sie nachfolgend einen kurzen Abriss.
Gründung Schlaraffias
Stephansgasse den Ort des Geschehens.
Eben weil sie nicht zu dem erlesenen Personenkreis gehören durften, gründeten sie ihre eigene Herrengesellschaft; einen Proletarierclub. Mit dem Ziel, den Pomp und die Wichtigtuerei der Oberen tüchtig auf den Arm zu nehmen. Kurzerhand legte man rudimentäre Spielregeln fest und verlegte die wöchentlichen Treffen „virtuell“ in die Zeiten des Mittelalters, in einen gedachten Rittersaal.
Der Handlungsrahmen stand - und so entwickelte sich daraus ein amüsantes, humorvolles Spiel mit Niveau. Nach und nach verfeinerten sich die Spielregeln, die bis heute als „Spiegel und Ceremoniale“ (quasi dem einzigen Gesetz der Schlaraffia) erhalten sind.
Mit Fug und Recht kann man behaupten, dass sich auf diese Weise das erste LARP (Live Action Role Play), also das erste Rollenspiel in Echtzeit, entwickelte. In der heutigen Zeit wird LARP zwar etwas anders definiert, aber die Schlaraffia kann hier unbestitten für sich in Anspruch nehmen, eine Vorreiterrolle eingenommen zu haben.
Zu den Mitbegründern dieser Herrengesellschaft, die sich Schlaraffia nannte, gehörte Albert Eilers. Da sich die Mitglieder der Schlaraffia ein Pseudonym, einen Künstlernamen im Sinne des Spielrahmens, geben, nannte sich Albert Eilers schlaraffisch Ritter Graf Gleichen.
Er spielte eine wesentliche Rolle - nicht nur in Prag, sondern auch in Thüringen. Denn als er ein Engagement am Theater in Gotha und Coburg bekam, nam er nicht nur seine sprichwörtlichen sieben Sachen, sondern auch die Idee der Schlaraffia mit.
Geschichte der Schlaraffia in Arnstadt
Bis Anfang des Jahres 2023 war man davon ausgegegangen, dass nur die erste und die zweite Gotaha, die erloschenen Schlaraffenreyche, früher in der Region aktiv waren.
Allerdings haben es Recherchen im Zusammenhang mit der Digitalisierung und Zusammenführung von Unterlagen aus schlaraffischen, privaten und öffentlichen Archiven ermöglicht, dass so etwas wie eine kleine Sensation zu Tage gefördert wurde.
Denn: im Thüringischen Arnstadt gab es sehr wohl schon einmal so etwas wie schlaraffisches Leben; zumindest ansatzweise.
Das "Arnoldia-Kollegium" Arnstadt war eine Vereinigung, die im Jahr 1888 in Arnstadt in Thüringen gegründet wurde. Sie hatte ihren Ursprung in der dortigen Lateinschule und Verbindungen zum Arnoldi-Gymnasium in Gotha. Sie hatte das Ziel, die kulturellen und geistigen Interessen ihrer Mitglieder zu fördern. Namensgeber der Vereinigung war der Dichter, Philosoph und Theologe Arnold von Harff, der im 15. Jahrhundert lebte.
Diese Vereinigung hatte bereits einige der charakteristischen, schlaraffischen Merkmale, wie die Verwendung von Phantasienamen und die Betonung von Kunst und Kultur.
Anfang der 1890er Jahre schloss sich das Arnoldia-Kollegium offiziell der Schlaraffia-Bewegung an und wurde Teil der Schlaraffia Gotaha. Es gibt Belege dafür, dass vorher ein Versuch unternommen wurde, in Arnstadt einen eigenen Schlaraffenverein namens „Arnestadia“ zu etablieren. Der Name "Arnestadia" leitete sich schelmisch nicht etwa von Arnstadt ab, sondern setzte sich aus den Namen "Arnoldia" und "Stadt" zusammen.
Der Versuch der Neugründung wurde allerdings nach intensiven Gesprächen mit der federführenden Stelle im Bund Schlaraffia, dem Reych Praga verworfen. Zum einen waren für eine Neugründung nicht ausreichend Mitglieder vorhanden und zum anderen gab es gerade erhebliche Nachwuchsprobleme im nahen Gotha.
So wurde die Entscheidung getroffen, auf eine neue Reychsgründung in Arnstadt zu verzichten und sich in Gotha in das bestehende Schlaraffenreych Gotaha (28) zu integrieren.
Den „Arnschtern“ passte das nicht so recht - und so folgten nur wenige der Arnoldia- Mitglieder diesem Beschluss. Die persönlichen Zwistigkeiten und die schlechte Grundstimmung in der Gotaha waren nicht geeignet sich einzubringen.
Obwohl es nie zu einer tatsächlichen Neugründung eines Schlaraffenvereins in Arnstadt kam, bezeichneten sich die Arnstädter eine Zeit lang als Schlaraffia Arnestadia - auch ohne in den Bund Schlaraffia jemals aufgenommen worden zu sein.
Der schlaraffische Gedanke gehört jedoch damit belegt länger zur Tradition in Arnstadt als bisher angenommen.
Geschichte der Schlaraffia in Gotha
Die erste Gotaha (28)
Am 04.02.1881 gründete Albert Eilers, in Schlaraffia als Rt Graf Gleichen aus der Praga bekannt, gemeinsam mit fünf befreundeten Theatermitgliedern das Reych Schlaraffia Kyborgia in Gotha. Die Anfänge des Coburger Reyches waren also nicht in Coburg zu suchen, sondern eben in Gotha.
Später wurde es in Kybogia-Gotaha umbenannt, da sich die Mitglieder abwechselnd in Gotha und in Coburg trafen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten wurden das Reych in zwei eigenständige Einheiten, jeweils ein Reych in Coburg (Kyborgia - 27) und ein Reych in Gotha (Gotaha - 28) aufgeteilt. Im April 1882 war die Trennung vollzogen.
Das Gothaer Vereinsleben begann im Oktober 1882 mit 10 Rittern, einem Junker und drei Knappen. Innerhalb eines Jahres erreichte sie ihre endgültige Größe mit 19 Rittern, 2 Junkern und 2 Knappen. Die Sippungen fanden, wie üblich in Schlaraffia, von Oktober bis April in der sogenannten Winterung statt. Aufgrund der wechselnden Engagements einiger Künstler, die mal in Gotha und mal in Coburg agierten, war die Teilnahme derselben auch dann präsenter, wenn in Gotha am Theater gespielt wurde. Das war meistens im Januar und die Schlaraffenburg füllte sich dann voller Gesang und Musik. Es gab Opernarien, Lieder aus Operetten und Solokonzerte auf Klavier, Violine oder Harfe.
Die Versammlungen begannen um 21 Uhr und endeten frühestens um Mitternacht, gefolgt von einem geselligen Teil namens Krystalline. Man wusste zu feiern und sich die Zeit zu vertreiben. Es kamen sehr oft Schlaraffen von außerhalb zu den Treffen; aus Danzig, Straßburg, Erfurt, Weimar, Braunschweig, Berlin und Leipzig.
Durchreisende Freunde konnten sich ihnen anschließen und umgekehrt besuchten Schlaraffen der Gotaha andere Reyche. Neue Interessenten, sogenannte Pilger, waren immer willkommen, aber deren spätere Mitgliedschaft dauerte oft nur wenige Jahre. In den letzten drei Jahren ihres Bestehens gelang es nicht mehr, neue Mitglieder für das Reych zu gewinnen.
Insgesamt hatte die erste Gotaha etwa 108 Mitglieder. Höhepunkte der Vereinsaktivität waren die Stiftungs- und Ordensfeste, zu denen bis zu 40 Gäste aus der Umgebung kamen, um die Gotaha zu feiern und Auszeichnungen entgegenzunehmen.
Das größte Stiftungsfest fand 1889 im Hotel Deutscher Hof in Gotha statt.In den Sommerungen wurden Treffen, wie z.B. Kegelabende und Sommerfeste, teilweise gemeinsam mit anderen Reychen, organisert. Ein herausragendes Ereignis war das schlaraffische Sommerfest in Eisenach im Jahr 1889, das Teilnehmer aus verschiedenen Städten anzog.
Ein bedeutendes Ereignis war die Gründung des Reyches Vimaria (85) in Weimar. Das Vimaria existiert bis heute und ist das Mutterreych der heutigen Schlaraffia in Arnstadt und Gotha. Zur Erklärung für Nicht- Schlaraffen: Als Mutterreych benennt man ein bestehendes Reych, dass die „Erziehung“ über ein neu entstehendes Reych übernimmt.
Die Gotaha hatte mehrere, wechselnde Vereinslokale. Zunächst im Gasthaus Rose („Rosenburg" genannt), dann im Prinzenhaus und schließlich im Gasthof zum Mohren ("Mohrenburg"). Letztere wurde zur letzten Heimstätte der Gotaha - die Geschichte neigte sich leider schon früh dem Ende zu. Es gab persönliche Differenzen zwischen den Mitgliedern, Todesfälle und Ortswechsel wichtiger Personen, die das Funktionieren des Reyches beeinflussten. Austritte und fehlende Neuaufnahmen führten dazu, dass die Gotaha ab Herbst 1891 immer träger wurde. Die Besuche der Sippungen nahmen ab, und im Sommer 1893 löste sich die Gotaha langsam auf. Am 8.5.1895 wurde sie schlussendlich durch die Praga als damals verantwortliche Stelle gestrichen. Besonders die Schlaraffen aus Coburg waren traurig über das Ende der Gotaha. Es gab auch eine kleine Gruppe ehemaliger Mitglieder der Gotaha, die sich mit der Situation nicht abfinden wollte. Das sollte später zur Gründung der zweiten Gotaha mit beitragen.
Geschichte der zweiten Gotaha (155)
Wenige Jahre nach dem Erlöschen des ersten Schlaraffenreyches in Gotha trafen sich im Januar 1904 einige Mitglieder der Kyborgia zu einer improvisierten Sippung im Deutschen Hof in Gotha.
Ihrem Ruf waren ein ehemaliges Mitglied der ersten Gotaha, sowie rund 30 Interessierte gefolgt.
Rt Krakeel, der ehemalig in der ersten Gotaha Schlaraffe war, machte aus dieser Gruppe das Kernstück der späteren zweiten Gotaha. Der Grundstein war gelegt. Schon im April 1904 fand man sich erneut zusammen und feierte ein großes Fest, bei dem zahlreiche Gastrecken aus anderen Reychen teilnahmen.
Im Sommer traf man sich regelmäßig zu Wanderungen auf den Seeberg oder zu fröhlichem Beisammensein im Bayerischen Bierhaus, bzw. dem Gasthof "Schützen". Im Herbst fand man im Hotel Herzog Ernst ein geeignetes Lokal zur Einrichtung einer Burg und am 5. Oktober 1904 begann das Leben der neuen Schlaraffia Gotaha.
Nach einem Jahr Probezeit erteilte die Praga im Oktober 1905 die Gründungsbewilligung für die Colonie. Die Sanktionierung folgte im April 1907. Die zweite Gotaha begann mit 27 Mitgliedern und wuchs bis 1914 auf bis zu 36 Mitglieder an. Das Vereinsleben stabilisierte sich im Hotel "Stadt Coburg" (ab 1920 im Hotel zum Schützen).
Die Mitglieder waren aktiv im Spiel und bei der Sache. Aber der künstlerische Aspekt trat besonders hervor, wenn Bühnenkünstler im Januar von Coburg nach Gotha kamen und die Sippungen musikalisch bereicherten. Am 24.02.1912 fand eine große Sippung im neu erbauten Schlosshotel statt, bei der über 100 Freunde anwesend waren. Die Veranstaltung war ein großer Erfolg und brachte der Gotaha hohes Ansehen ein.
Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges kam es zu einem Wendepunkt. Die allgemeine Stimmung verdüsterte sich, viele Mitglieder der Schlaraffia waren im Krieg als Soldat und die Reyche mussten das Sippungsgeschehen fast vollständig einstellen. Bei Beginn der neuen Winterung im Oktober 1918 waren nur noch 22 von 36 Mitgliedern der Gotaha übrig, von denen viele unter wirtschaftlicher Not litten. Ein Solidarfonds, der 1914 eingerichtet wurde, konnte zumindest teilweise helfen.
Ein reguläres Vereinsleben in Gotha begann erst ein Jahr später und war von Höhen und Tiefen geprägt. Ab 1922 mussten die monatlichen Beiträge regelmäßig erhöht werden, da die Inflation rapide anstieg. Im November 1923 kam es zur Hyperinflation; die Situation normalisierte sich erst nach der Einführung der Rentenmark.
Die Mitgliederzahl der Gotaha erreichte 1926 ihren Höhepunkt mit 47 Schlaraffen. Dies spiegelte die wirtschaftliche Stabilisierung in ganz Deutschland wider. Jedoch endete dies bald mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, wodurch viele Mitglieder nicht mehr am schlaraffischen Leben teilnehmen konnten und die Mitgliederzahl wieder deutlich sank.
Finanzielle Engpässe trafen die Gotaha, da viele verbliebene Mitglieder die Beiträge nicht mehr aufbringen konnten. Trotzdem wurde das 25. Stiftungsfest im großen Rahmen mit fast 100 Gästen gefeiert. Im Januar 1933 wurden die politischen Ereignisse auch für die Gotaha spürbar. Mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten geriet der eigentlich unpolitische Bund in Schwierigkeiten.
Im Januar 1937 wurde die Schlaraffia in Deutschland, im Februar die Gotaha aufgelöst. Ab Frühjahr 1946 fand wieder ein wöchentlicher Stammtisch statt, zu dem auch heimatvertriebene Schlaraffen kamen. Als diese weiterzogen, wurde eine Wiederbelebung der schlaraffischen Aktivitäten unwahrscheinlich.
Es blieben nur noch zwei ehemalige Mitglieder in Gotha, die andere, wieder gegründete Reyche als Vertreter der Gotaha besuchten. Mit ihrem Tod endete das schlaraffische Leben in Gotha endgültig.